Sehenden Auges (Auszug)

(c) Rhea Krcmarova
(c) Rhea Krcmarova

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sehenden Auges. Erzählung. (Auszug), erschienen in der Anthologie Blinde Liebe, edition a

Eine junge, blinde Frau sagt als Zeugin bei einem Mordprozess aus

Auszug aus „Sehenden Auges“ Erzählung, Edition A

(…)

Als er mich angegriffen hat… ziemlich gleich anfangs… wie das die Doris bitte aushält, auf ihrem Körper, diese Hände hab ich mich gefragt, ich hätte ihm seine Pratze gleich zurückgegeben, an ihrer Stelle, seine Qualle. Nicht nur dass die Finger so kalt waren, kein Blut dort, wo es hingehört… das war direkt ein toter Frosch in meiner Hand, schlaff und schwer und glitschig… Oder die Tentakel einer kleinen sterbenden Qualle, oder ein faulender Paprika, diese Stellen, die schlechten, die sich so vom festen Fruchtfleisch unterscheiden.

Wieso er keine Hornhaut hat, habe ich mich gefragt, obwohl er doch angeblich Gärtner ist, das waren Babyhände. Wie ein toter Einjähriger hat er sich angefühlt, nicht wie ein Mann.

Sicher, Schwielen mag ich auch nicht, das ist doch grausig, wenn ein Mann sich vernachlässigt, Frau Rat. Dem Klausi predig ich ja auch immer Handcreme, Handcreme, wir suchen sie sogar gemeinsam aus, damit sie auch gut riecht. Ich mag es nicht, wenn er raue Handflächen kriegt, vom Training, von den Hanteln. Die sind aus Stahl und innen so aufgraut, und dann kratzt es, wenn mir der Klausi über meinen Körper fährt, und das kann ich nicht leiden. Der versteht das, der Klaus.

Aber der, der hatte gar nicht, nichts auf den Händen, kein Profil. Und das kann ich nicht leiden.

Sicher hat er irgendwann gespürt, dass ich es weiß, dass ich es fühle, wissen Sie. So Tiere wie er haben da einen ganz guten Instinkt, und er hat zugepackt, mir fast die Mittelhandknochen gequetscht.

Hornhaut hatte er keine, trotzdem.

(…)

Die Stimme, seine Stimme, Frau Rat, war das grauslichste überhaupt. Mir ist einmal beim Geschirrspülen das Glas in der Hand zerbrochen, wissen Sie, und die Scherben in der Hand, ohne Vorwarnung, so eine Stimme hatte er. Wie eine alte Frau, die wie ein alter Mann klingt, der wie eine alte Frau klingt, und so weiter, sie hören ihn ja eh, wenn er so vor sich hinschimpft, jetzt.

Natürlich bin ich oberflächlich, Frau Rat, aber ich bin doch auch nur eine Frau, ich weiß doch, was mir gefällt, und er war es auf jeden Fall nicht. Und ich weiß, was mir Angst macht.

(…)

Ich hab auf sie eingeredet wie auf ein krankes Pferd, Frau Rat, jedenfalls, wirklich, ich hab mich so gefürchtet. Sicher, um mich, in erster Linie, und irgendwann auch um sie. Nein, gemocht habe ich sie immer noch nicht, natürlich, ich hab halt einfach nur Angst gehabt.

Ich hab mir gewünscht, die anderen wären da, die Mädels, na ja, vielleicht nicht die Nelly, die hat als Nonne in der Warteschleife ja noch weniger zu melden.

Aber die anderen, die einen Freund haben, die anderen Frauen.

Ich meine, natürlich reden wir, immer, als Frauen, unter uns. Manchmal war sie dabei, die Doris, wir sollten sie ja integrieren, und wir haben versucht, sie ernst zu nehmen, obwohl sie so einen scheußlichen Geschmack hat… gehabt hat… hatte… Herrgott…

Ihm war es ja egal, wie sie sich fühlt, dem Mann, sie ist ja ständig um ihn herumscharwenzelt, die Doris, also das war fast schon peinlich. Und dümmlich war es auch. Ich hab sie da nie verstanden, wieso sie ihn immer wichtiger nimmt als sich. Aber gut, ich habe mir gedacht, dass sie es nicht aus Spaß macht. Dass sie mit Kerlen ins Bett steigt, um eine Bestätigung zu bekommen, für irgendwas, für was auch immer, ich weiß es nicht. Und das hab ich nie verstanden.

Es gibt doch schon so viele Dinge im Leben, die man muss.

(…)

Wenn ein Mann sich nämlich um mich kümmert, wissen Sie, kann ich ja loslassen, da weiß ich, dass ich Spaß haben werde, wenn er sorgt, dass es mir gut geht. Und wenn mir das Ganze keinen Spaß macht, Frau Rat, wissen Sie, tue ich es nicht. Der Klaus ist so einer, ich meine, so aufmerksam, dem bin ich wichtig, mit dem hab ich Spaß, Frau Rat, das ganze Vergnügen. Aber darüber hat die Doris nie gesprochen. Vielleicht hätte ich sie fragen sollen, warum sie es eigentlich macht. Aber eine Antwort, Frau Rat, hätt ich sicherlich nicht gekriegt.

(…)

Bei unserem ersten Treffen ist sie mitgekommen, also vom Klaus, Frau Rat, und von mir. Ist daneben gesessen, weil man kann uns beiden ja nicht allein lassen, die Krüppel. Was uns hätte passieren sollen, am helllichten Tag, im Café Ritter? Wo wir beide noch, also noch dazu, jedenfalls war es lächerlich, und das hab ich ihr auch gesagt. Dann ist sie weg, die Doris, und war beleidigt.

War mir auch nicht Unrecht, dass sie sich getrollt hat, die gute Frau. Ich hab ja gewusst, dass er es ist, wir haben ja vorher wochenlang gemailt, und telefoniert, und sms hat er, der Klaus, mir auch geschrieben. Die Stimme erkenne ich doch bitte wieder, habe ich ihr gesagt, auf dem Weg ins Café. Die Stimme, in die hab ich mich ja verknallt. Ich war dreizehn und er siebzehn, Frau Rat, er damals Schulsprecher, und ich Klassensprecherin. Ich bin rot geworden, sobald er nur den Mund aufgemacht hat, rot wie der Feuerlöscher, haben die Lehrer gesagt, jedenfalls.

Wenn er in der Nähe war, der Klaus, hab ich Stellen bei mir gespürt, von denen hab ich bisher nur gehört. Im Bravo, im Aufklärungsteil von der Bravo-Kassette haben sie davon gesprochen. Die hab ich mir die damals ausgeborgt, stapelweise, auf Kassette, aus der Bücherei.

Ich hab mir dann immer vorgestellt, dass er das macht, mit mir, was die immer machen. Obwohl ich nicht ganz sicher war, wie es geht. Klar haben die uns aufgeklärt, aber wie es geht weiß man ja erst nachher.

Ich hab mir schon gedacht, dass er das gut machen wird. Oder vielleicht hab ich es damals nicht gedacht, nur gehofft, das Gespür für solche Sachen wächst ja auch erst mit den Jahren. Aber irgendwann hat man es, und natürlich ist jede Beziehung ein Risiko, wissen Sie, aber das Gespür, das hilft.

Das hab ich ihr auch gesagt, Frau Rat, genau das habe ich ihr gesagt. Was glauben Sie, Frau Rat, wie die gelacht hat.

(…)

Er hat schon gespürt, dass ich ihn nicht mag, der Mann.

Viecher spüren das, wie gesagt, der ist auch so ein Instinkttyp, ein Jäger. Ich meine, ich sehe ihn ja nicht, seine Körpersprache, aber bitte, doch, ich höre sie. Höre sein Rascheln, Fitzeln, Kratzen, das Rutschen mit dem Hintern auf dem Sitz, das Rubbeln der Füße auf dem Tisch, grad, dass er nicht auf die Tischplatte trommelt. Höre das Geräusch seiner Finger, wenn er sich durch die Haare fährt, wenn er seine Kopfhaut kratzt, und dann haben wir überall die Schuppen auf unserem Tisch, grauslich. Und dann hat er seine Haut gerieben, durch das Hemd und durch die Jeans, jedenfalls hat sich das so angehört, die Stoffe haben einen eigenen Klang. Und dann hab ich noch gehört, wie er sich die Nägel beißt, und an der Haut darüber knabbert. Da war sie aber kurz draußen.

Der Klaus macht so was nicht, nie, fast nie. Nur vor zwei Prüfungen auf der Uni und als sein Vater gestorben ist hab ich das gehört. Da hab ich gewusst, es geht ihm ziemlich elend, es wird ihn fast zerreißen. Der Klaus sitzt ja ruhig da, in sich, stetig; nicht, weil er nichts sehen kann, sondern weil er will, er ruht, Frau Rat. Da drinnen, in sich, ruhig, und genau das ist das, was ich mag.

Aber der, der Mann, den hat es nicht zerrissen, jedenfalls nicht bei uns in der Küche. Aber ich hab gespürt, dass es sich aufbaut. Ich hab ihm ja auch ein bissi was vorgespielt, Frau Rat, und er ist mir darauf reingefallen, jedenfalls am Anfang. Das kann ich ganz gut, ich meine, es ist fies, ja, aber es hilft, die Leute zu beurteilen. Haben Sie die Kunst des Krieges gelesen? Natürlich gibt es den in Brailleschrift, haben Sie gelesen, was Sunzi geschrieben hat über die Feinde? Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Und wenn auf einmal ein Tier sitzt, in deiner Küche, da weiß man, was er meint.

(…)

Irgendwann ist er dann rausgegangen, eine rauchen, vor die Wohnungstüre, und ich hab sie mir geschnappt.

Ganz direkt war ich. Doris, Doris, habe ich gesagt, Finger weg, bitte, Doris, renn so schnell du kannst. Doris, bitte, der Mann ist schlecht, der Mann ist ein Viech, der Mann ist auf der Jagd, Doris, bitte, bitte renn. Schließ ihn raus, sperr ihn weg, dann überlegen wir uns, was mir machen, der bringt uns um, bitte. Und dann ist er reingekommen. Und sie hat es ihm gesagt. Wort für Wort. Alles.

Und dann haben sie sich lustig über mich gemacht, natürlich, mindestens eine halbe Stunde, und sie war aber schlimmer. Irgendwann hat er sie gestoppt, aber auch nur, weil er gehen wollte, weg vom kleinen dummen Krüppel, mit ihr.

(…)

Doch, zuerst habe ich mir gedacht, dann krepier doch, bitte, habe ich mir gedacht. Aber nur die ersten paar Minuten. Bis die Panik gekommen ist.

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