In Trance (Danubien)

In Trance(Danubien)

Personen Ebene 1
MERETH 1
JACKQUELINE 1
JOZY
(alle drei sind in der siebenten Klasse Gymnasium)

Personen Ebene 2
MERETH 2
JACKQUELINE 2
STIMME DES FROSCHKÖNIGS

Der Vorraum einer Mädchentoilette in einem Wiener
Vorstadtgymnasium auf der falschen Seite der Donau.

Beide Handlungen spielen im selben Raum, nur 20 Jahre auseinander.
Die Schauspielerinnen beider Ebenen nehmen die jeweils anderen
nicht wahr.

Die Handlung auf Ebene 2 spielt an einem Abend.
Die Handlung auf Ebene 1 spielt vor 20 Jahren von Mitte
September bis Anfang Mai. Mereth 1, Jackqueline 1 und Jozy
haben bei jedem Auftritt andere Kleidung an.

Anmerkung der Autorin: Für Aufführungen außerhalb von Wien /
Österreich kann Jackquelines Wiener Dialekt abgemildert
wer

SZENE 3:
(Mereth 1 kommt
hereingerannt, klatscht sich
an die Wand, sinkt zu Boden.
Gibt sich Mühe, nicht zu
weinen)
MERETH 1: Scheiß
Strickpulloverfetischist. Ich
hasse, hasse, hasse ihn. Noch
ein Nichtgenügend und ich
werde die Klasse wiederholen
müssen.
Wozu geb ich mir überhaupt
Mühe mit der stupiden
Lernerei? Ich werde
Transdanubien nie entkommen.(Jozy kommt, setzt sich neben
Mereth 1)
JOZY: Mereth, Mereth, Mereth,
ich hab´s verschissen.
MERETH 1: Schon gut, Süße,
ich doch auch.
JOZY: Verschissen hab ich´s,
verschissen, verschissen.
MERETH 1: Na komm, sag so was
nicht. Wir müssen uns einen
positiven Ausblick bewahren.
Für uns beide.
JOZY: Er hasst uns alle.
Warum geb ich mir bitte noch
Mühe? Die arme Jackie erklärt
mir den Schmarrn8, und mir
bleibt nix davon im Kopf. Das
bringt nichts, ich …
MERETH 1: Nein! So dürfen wir
nicht denken. Wir werden
entkommen. Ein bisschen mehr
als eineinhalb Jahre noch,
Jozy, und dann haben wir es
überstanden. Und nach der
Matura können sie uns alle am
… also gern haben.
JOZY: Das bringt alles nix.
MERETH 1: Doch, gewiss!

(Jozy und die Prinzessin
weinen zusammen.)

 

JACKQUELINE 1: (sucht die
beiden) Jozy, was ist los?
Warum weinst Du? Prinzessin,
du deppertes Weibsstück, was
hast mit der Jozy gemacht?
JOZY: Die Mereth hat mich
nicht zum Heulen gebracht.
Das war der Hölzl. Ich hab
die scheiß Schularbeit
verhaut.
JACKQUELINE 1: Das kannst net
wissen.
JOZY: Ich hab genau nichts
hingeschrieben. Nur leere
Blätter abgegeben, Jackie,
mit oben meinem Namen.
JACKQUELINE 1: Heast9, warum?
JOZY: Total Blackout. Wir
beide.

JACKQUELINE 1: Bei der da
versteh ich´s. Aber bei dir?
JOZY: Wobei, ich versteh´s
nicht. In manchen Fächern
bist du ur gut, Mereth, und
in anderen … du hast
irgendwie fast nur Einser
oder Fünfer im Zeugnis …
MERETH 1: Ich versteh ja auch
nicht, warum ich mir in
manchen Fächern derart schwer
tu und in anderen nicht.

JACKQUELINE 1: Wurscht. Hörts
jetzt auf zu heulen, beide,
stehts auf. Es hat geläutet,
gleich kommen die anderen
rein.
Mereth, du kannst ja mal
Deine Nase pudern, Du braucht
eh ewig, bis du dich fertig
geschminkt hast, und dann
Abmarsch. Wir haben Latein
und die Wurbala killt uns,
wenn wir nicht pünktlich
sind.
JOZY: Wozu brauch ich das
depperte Latein? Ist eh alles
wurscht. (rennt aus dem
Waschraum)

 

 

 

 

 

 

 

MERETH 1: Lass mich bitte.
JACKQUELINE 1: Ich weiß eh
nicht, was sie an dir findet,
Prinzesserl. (Schubst sie
grob gegen die Wand). Kannst
Du uns nicht in Frieden
lassen. So Kloburger
Scheißfratz´n brauchen wir
hier nicht.
MERETH 1: Ich möchte ihr nur
helfen.
JACKQUELINE 1: Ich warn dich,
Tussn. Halt Dich von der Jozy
weg. Sonst dresch ich dich.
MERETH 1: Nur Idioten
benützen ihre Fäuste. Kluge
kämpfen mit ihrem Verstand.
JACKQUELINE 1: Dann wehr dich
halt nicht, Hirni (schlägt
Prinzessin. Die wehrt sich
nicht, versucht nur, Jackies
Schläge abzuwehren.)
JACKQUELINE 1: So, jetzt fühl
ich mich besser. (ab)

 

 

 

MERETH 1: Ich will zurück
nach Klosterneuburg ziehen.
Nicht gefangen sein im
Nirgendwo, zwischen den
Gemeindebaublöcken und den
Feldern und diesen
schrecklichen
Kleingartensiedlungen… in
Trance, in Trance-Danubien …
bis Schuljahrende …
Eineinhalb Jahre bis zur
Matura … Das muss ich
überstehen, aus
Grundprinzip… so, jetzt male
deine glückliche Fratze auf…
(Mereth 1 schminkt sich
fertig. Ab).

SZENE 3

(Mereth 2 kommt aus der
Kabine. Versucht, die Tür zum
Gang abzuschließen,
scheitert. Steht da, nimmt
den Raum in sich auf)

 

MERETH 2: Hallo Jozy, also
immer noch hier …

 

 

 

 

 

(Mereth 2 beobachtet sich
lange im Spiegel)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

MERETH 2: Zumindest mein
Lippenstift sitzt immer noch.
Die Bestien draußen haben
mich nicht ungeschminkt
gesehen, nicht nackt, nicht
wehrlos, nicht ohne meinen
Lippenstift.
Wegen dir habe ich mich mit
ihnen unterhalten, Jozy.
Sogar mit dem
Strickpulloverfetischisten.
Ich schwör, der trägt das
gleiche Outfit wie vor
zwanzig Jahren …
(Nimmt den Lippenstift aus
der Tasche, zieht sich die
Lippen nach)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

MERETH 2: Auch das hat sich
nicht geändert. Chanel Nummer
siebenunddreißig, immer noch
der gleiche Farbton. Den
bekommt man inzwischen auch
hier, im Shoppingcenter Nord,
ums gleiche Geld wie in den
inneren Bezirken. Aber auch
das ist kein Grund zu bleiben, geschweige denn
wiederzukommen.
Ich habe nicht gedacht, dass
ich mich jemals wieder hier
schminken werde. Und du bist
hier, Jozy. Immer noch.

 

 

 

 

 

 

(Stille. Sieht sich um)

MERETH 2 Damals musste ich
über den Fluss fahren, um den Lippenstift zu bekommen. Für
ein paar Stunden in den
zivilisierten Teil der Stadt!
Im ersten, sechsten,
siebenten Bezirk. Mir war
jedes Mittel recht, jede
Ausrede, Hauptsache weg von
hier.Mereth 2 nimmt ihr
Schminktäschchen aus der
Handtasche, frischt nach und
nach ihr gesamtes Make-up
auf).