Limbo Dance
Limbo Dance. Ästhetisch. Assoziativ. Ador(no)ation. Digressiv.
Ein Kurzdrama
Personen:
Jeanne d´Arc
Adorno
Moritz Bleibtreu
Chor der Gehenkten
Chor der ungetauften Kinder
Eine Ebene. Jeanne, dann der Chor der Gehenkten.
Jeanne d´Arc: Ausgeschrieben.
Chor der Gehenkten: Versenkung! Und ab in die Unsterblichkeit. Jawollja.
Jeanne d´Arc: Versucht hab ich´s ja.
Chor der Gehenkten: Die Welt ist nicht genug.
Jeanne d´Arc: Abgegeben. Halt nein, das ist alles nur ein Traum. Gleich will ich aufwachen wollen.
Chor der Gehenkten: Abgegeben. Ha. Dass ich nicht lache.
Jeanne d´Arc: Nächtelang durchgekämmt habe ich mir das, was der Volksmund Seele nennen sollte. Und das Geröll auch dazu.
Chor der Gehenkten: Und Hirn hast du keines. Wie ausgesprochen dumm von dir.
Jeanne d´Arc: Bischöfe. Könige. Richter. Henker. Sie haben keine Macht mehr.
Chor der Gehenkten: Nie gehabt, Mädchen. Nie gehabt.
Jeanne d´Arc: Die Rüstung staubt im Besenkammerl.
Chor der Gehenkten: Tja.
Jeanne d´Arc: Aber ich habe noch nie aufgegeben. Das Ende verlache ich, wie in alten Zeiten.
Chor der Gehenkten: Und wozu das alles? Wir leben in Zeiten des Privatfernsehens, immerhin.
Chor der ungeborenen Kinder: Mutter! Mutter! Treibe uns nicht ab! Mutter! Mutter! Leg die Häkelnadel weg! Mutter! Vater! Unsere Schuld ist es nie!
Jeanne d´Arc: Am Anfang war das Hirn.
Chor der Gehenkten: Am Ende ist das Hirn.
Jeanne d´Arc: Und zwischendrin ist auch nichts. Nichts.
Chor der ungeborenen Kinder: Du hörst uns nicht einmal. Dabei erklärst Du allen, dass du uns willst. Bedingungslos. Oder auch unbedingt. Unsere kleinen Knochen rotten in unbeschrifteten Dateien. Unsere Organe sperrst du in Tintenfässern ein.
Jeanne d´Arc: Kill your darlings!
Chor der Gehenkten: Lass sie gar nicht erst zur Welt kommen! Lass dich gar nicht erst schwängern! Ist besser für alle Beteiligten.
Jeanne d´Arc: Das ist so krank. So krank.
Chor der Gehenkten: Du hast es nicht anders gewollt.
Jeanne d´Arc: Fahr zur Hölle. Ha, ha.
(Auftritt Adorno)
Chor der Gehenkten: Na endlich.
Jeanne d´Arc: Und immer das Wissen, ich liefere nur einen Schwachsinn ab.
Chor der Gehenkten: Unendliche Leichtigkeit des Scheins. Aber Schreiben hast du noch nie gekonnt. Willkommen im Club, mein hübsches Brathuhn.
Jeanne d´Arc: Still. Ich will hören, was er sagt.
Adorno: Die rastlose Selbstzerstörung der Aufklärung zwingt das Denken dazu, sich auch die letzte Arglosigkeit gegenüber den Gewohnheiten und Richtungen des Zeitgeistes zu verbieten.
Jeanne d`Arc: Verarschen kann ich mich selber.
Chor der Gehenkten: AH! Und uns hat man vergessen. Keine einzige Fußnote hat geholfen. Warum tun wir uns den Scheiß mit der Unsterblichkeit eigentlich an, wenn der Untergang schon im Anbeginn festgelegt wurde? Nichts ist so gemacht, dass es für immer ist.
Jeanne d´Arc: Panta Rhei.
Chor der Gehenkten: Panting painting Rhea.
Jeanne d´Arc: Versuchen könnte ich es zumindest.
Chor der Gehenkten: Picasso wird man nie. Warum auch anfangen.
Chor der ungeborenen Kinder: Mutter! Vater! Legt den Pinsel weg! Ihr lasst euch selbst an Strichmännchen scheitern Malen nach Zahlen, euch zu schwer Mutter! Vater! Nicht den Radiergummi, bitte!
Adorno: Zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was noch die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist…
Chor der ungetauften Kinder: Troll dich in die Hölle, alter Mann. Weh uns, der du uns alle getötet, nichts anzufangen weißt du mit uns. Mutter! Vater! Nicht mit rostigem Draht!
Chor der Gehenkten: Die alte Engelmacherin vom Diamantengrund… Copy! Paste! Copy! Paste! Besser als deine Versuche wird das immer! Warum sich blamieren, wenn man zitieren kann.
Adorno: …nichts… die Kunst betrifft… selbstverständlich…
Jeanne d´Arc: Weißes Rauschen.
Chor der ungetauften Kinder: Grausegreis! Du nimmst die Unschuld uns! Tanz nur auf unseren Gräbern. Nie geboren sein dürfen. Unsere Mütter und Väter zerknüllen und löschen uns mit einem Mausklick. Lassen uns verrotten in den Windungen des Kopf. Und niemandem fällt´s auf.
Jeanne d`Arc: Scheite brennen jedes Mal, wenn ich meinen Laptop aufdrehen will. Macbook, selbstverständlich. So schön kompatibel mit Gott. Das Englische Heer steht da mit Feuerlöschern. Und dieses Mal bin ich meine eigene Richterin! Hah!
Chor der Gehenkten: Und sie wundert sich auch noch.
Adorno: Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.
Jeanne d´Arc: Und wie das gehen soll, erklärt es nicht, der feine Herr.
Chor der Gehenkten: Er ist der Kanon. Er ist Gott.
Jeanne d´Arc: Nicht mal der Belzebub ist er.
Chor der Gehenkten: Aber er bringt Licht, die Erleuchtung. Künstler müssen dankbar sein.
Jeanne d´Arc: Warst Du jemals im Theater? Im Potential des dunklen Raumes? In der gottgewollten Leere, am Vormittag, wenn alles schläft, einsam probt. Nur du, du und die Dramaturgen. Nein, lasst meine Babies! Schneidet sie nicht zusammen, dampft sie nicht zu Grunde! Lasst meine Babies! Lasst mich in den dunklen Raum! Nein!
Chor der Gehenkten: Wir schämen uns. Wir schämen uns. Wir schämen uns für dich.
Chor der ungetauften Kinder: Mutter! Leg die Stricknadel weg!
Adorno: Kunst will das, was noch nicht war, doch alles, was sie ist, war schon.
Jeanne d´Arc: Und du, alter Mann, machst es auch nicht leichter.
Chor der Gehenkten: Aber er hat recht. ER IST DER KANON. WIE SPRICHTS DU MIT IHM? ER IST GOTT!
Jeanne d´Arc: Ich geh jetzt zu Mc Donalds. Und hol mir einen Cheeseburger. Scheiß drauf.
Chor der Gehenkten: Es regnet!
Jeanne d´Arc: Und?
Chor der Gehenkten: Ach nichts. Kondome sind wie Gummistiefel. Hauptsache, nichts riskieren.
Jeanne d´Arc: Und was ist sie, diese mystifizierte, diese nie ereichte Selbstverständlichkeit? Muster werden aufgelöst, bewusst oder unbewusst, man stößt an die Grenzen der Kanonisierung, allerdings nicht überall. Wobei… das Wort Kanonisierung… ein Schelm, wer da nicht an Kriegsschiffe denkt, an Nelson, und Tegethoff natürlich…
Chor der Gehenkten: Anlegen! Zielen! Feuerwerk! I´m hardly ever sick at sea.
Adorno: What, never?
Chor der Gehenkten: Well, hardly ever.
Adorno: He´s hardly ever sick at sea.
Jeanne d´Arc: Wussten Sie, dass der Kanun in Albanien ein uraltes Gesetz der Blutrache ist? In den skipetarischen Bergen verstecken sich hunderte Männer in ihren Häusern, nur in den eigenen vier Wänden sind sie vor den verfeindeten Clans sicher.
Manchen Familien haben keinen Patriarchen mehr, und wissen Sie, was die dann machen? Die bringen eine der unverheirateten Frauen dazu, Schwestern oder Tanten, die Männerrolle zu übernehmen. Die müssen keusch leben, die Holtas und Dianas und wie sie alle heißen, gewiss, im Gegenzug, aber bekommen gewisse Freiheiten. Vor allem sind sie sicher, Frauen werden nicht ermordet, nun ja, nicht aus Clan-Rache zumindest. DAS NENNE ICH KANON! Haben Sie die schon mal die Fotos gesehen, abgesehen vom fehlender Bart sehen diese alten Frauen wirklich aus wie alte Männer, die Gesichter dieser faltig von der Südsonne. Falten entstehen, wenn die Haut im Alter wächst, aber das Collagen, die Muskeln, die Knochen des Gesichts weniger werden.
Adorno: Erweiterung zeigt in vielen Dimensionen sich als Schrumpfung
Jeanne d´Arc: Das stimmt ausnahmsweise mal. Und Kanon schützt vor Schusswaffen.
Chor der Gehenkten: Was für eine furchtbar praktische Überlegung. Brrr.
Adorno: Sie wurde zerrüttet, je weniger Gesellschaft zur Humanen wurde.
Jeanne d´Arc: Er hasst uns. Oida! Warum?
Chor der Gehenkten: Man kann nicht beides haben.
Jeanne d´Arc: Das weiß ich selber. Ich bin ein einziges Desaster.
Adorno: Der Panzer verdeckt die Wunde.
Jeanne d´Arc: Das haben meine Henker sich auch gedacht.
Chor der Gehenkten: Wie will man in den Himmel kommen, wenn man seine Rüstung im Schrank hat? Nimmt Petrus auch die gekochten Hummer?
Jeanne d´Arc: Hmm… genau deswegen? Weil man so wunderschön roh ist, zumindest innen, wenn man sich nicht geschützt hat? Alle sehen das verkohlte Fleisch, wo mal die jungfernweiße Haut war.
Chor der Gehenkten: Man kann sich identifizieren. Wie unfein vor dir.
Jeanne d´Arc: Ich bin nicht so wahnsinnig gerne gestorben, weißt du? Ich bin Autorin. Aber nur so masochistisch wie unbedingt nötig. Trotzdem.
Chor der Gehenkten: Kontextualisieren. Problematik. Visualität. Transgression. Relative Ästhetik! Medialität! Neogramscianismus! Das Erhabene!
Jeanne d´Arc: Bingo! Ich meine Bullshit! Yeah!
Chor der ungeborenen Kinder: Stabat Mater. Stabat. Mater. Aber sie steht nicht mehr. Sie sitzt nur da. Und schmerzt. Und lässt und hängen.
Jeanne d´Arc: Komponieren. Kontrapunktieren. Korrepetieren. Nicht wahr, Herr Leverkühn?
Chor der Gehenkten: Auch eine Art, sozusagen in die Unsterblichkeit einzugehen. Aber mit Fußnote, bitte, wennschondennschon.
Adorno: Kunst will das, was noch nicht war, doch alles, was sie ist, war schon.
Jeanne d´Arc: Das Scheitern also immanent. Wie schön!
Chor der Gehenkten: Sarkasmus steht dir nicht, Miss Märtyrer.
Jeanne d´Arc: Und ich probiere es trotzdem. Und trotzdem. Und trotzdem.
Chor der ungeborenen Kinder: Mach uns stark. Gib uns einen Körper. Und nimm uns die verdammten Flügel ab, Mutter.
Chor der Gehenkten: Gedanken sind hartnäckiger als Knochen. Und manchmal verwesen sie nicht so schnell.
Jeanne d´Arc: Und du hast so schön gar keine Kontrolle. Das ist wirklich göttlich.
Chor der ungeborenen Kinder: Lasst uns zur See fahren! Vater! Mutter! Picknick und surfen im Internet. Wo man sich immer wieder selbst befruchtet. Das bisschen Blut ist dann auch nicht mehr so wichtig. Sonette schreiben könnt ihr für uns. Hundert Millionen Sonette, aus nur einem einzigen Satz Am Ende nicht mehr wissen, was der Anfang gesagt hat. Mutter! Vater! Leben ist so schön.
Moritz Bleibtreu: In den siebziger Jahren hat man die Frauen bekommen, weil man über Adorno geredet hat. Wirklich. Ernsthaft. Das funktioniert heute nicht mehr, stellen Sie sich das vor!
Adorno: Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.
Moritz Bleibtreu: Ich wünsche mir, dass es wieder cool wird, schlau zu sein. Echt jetzt.
– FIN –